Moderne Denkmalpflege
Denkmalpflege in Deutschland gibt es seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie war ursprünglich den herrschaftlichen Burgen, Schlössern, Kirchen und Klöstern vorbehalten. Erst mit der Heimatschutzbewegung um die Wende zum 20. Jahrhundert wurde auch der notwendige Schutz bürgerlicher und ländlicher Gebäude im Bewusstsein der Menschen verankert. Gesetzliche Grundlagen und die Einrichtung entsprechender Fachbehörden gab es jedoch in den meisten Gebieten erst sehr viel später, in Hamburg in den 1930er Jahren. Dennoch blieben die Vorstellungen, nur das Klerikale, „Herrschaftliche“ und „Schöne“ sei schützenswert, noch lange erhalten. Erst 1964 wurde auf einer Tagung in Venedig die „Charta über die Konservierung und Restaurierung von Denkmalen und Ensembles“ erarbeitet, die von fast allen europäischen Nationen angenommen wurde. Das Jahr 1975 wurde vom Europarat zum „Europäischen Denkmalschutzjahr“ ausgerufen und es wurden dadurch lebendige Diskussionen um Umfang und Methoden des Denkmalschutzes angestoßen.
Die Frage war und ist: Soll man die Objekte unberührt altern und schließlich verfallen lassen, sie instand halten und weiter nutzen oder museal konservieren. Es begann ein Wettlauf mit der Zeit und gegen den Geschmack: weiterhin nur das „Schöne“ zu erhalten, würde einen hohen Verlust an das Landschafts- oder Stadtbild Prägendem, technisch Interessantem und kulturell Wertvollem bedeuten. Die möglichen Ansätze im Denkmalschutz seien kurz definiert:
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Altern lassen: keine oder nur sehr geringe Eingriffe. Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem bei Burgruinen ein gängiges Konzept, gegenwärtig vor allem bei großen Industrieanlagen angewandt als kontrollierter Verfall.
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Konservierung: Einfrieren des derzeitigen Zustandes, Stoppen der Alterung. Dieses wird versucht durch Ertüchtigung des Baumaterials (beispielsweise Steinkonservierung) oder durch Entlastung mittels Schutzbauten gegen die Verwitterung. Ein Beispiel dafür ist der Schutzbau über der Goldenen Pforte des Freiberger Doms in Sachsen.
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Teilerhaltung, Entkernen: Betrifft zumeist restaurierte Fassaden oder Eingangsportale, die von einem Gebäude am Ort übrig bleiben und in einen Neubau integriert werden.
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Instandhaltung, Renovierung: Normale Pflegearbeiten zur Gebäude- und Nutzwerterhaltung einer Immobilie.
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Restaurierung: umfangreiche Erneuerung an alter Substanz, um angegriffene Bauteile zu erhalten. Hierbei können Denkmalqualitäten wie alte Anstriche, Techniken und Baustoffe verloren gehen.
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Rekonstruktion: Wiederherstellen eines verloren gegangenen Erscheinungsbildes von Bauteilen oder ganzer Bauten ohne Originalmaterial auf der Grundlage schriftlicher und bildlicher Quellen und Ergebnissen der Bauforschung. Rekonstruierte Objekte gelten als Neuschöpfungen. Sie sind keine Kulturdenkmäler, doch kann ihnen mit der Zeit ein Denkmalwert zuwachsen.
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Translozierung: Versetzung eines Denkmals vom ursprünglichen an einen anderen Standort. Notmaßnahme bei drohendem Totalverlust. Da ein Kulturdenkmal seinen Denkmalwert in der Regel in erheblichem Maß durch den – auch örtlichen – historischen Kontext, in dem es entstanden ist, bezieht, verliert das translozierte Objekt in der Regel seine Denkmalseigenschaft und damit auch den Denkmalschutz.
In den vergangenen 40 Jahren ist, gerade auch in der Hansestadt Hamburg, der denkmalpflegerische Ansatz starken Veränderungen unterworfen gewesen. So wurden beispielsweise, von der Alfred Toepfer Stiftung finanziert, in Hamburgs Neustadt zwischen 1966 und 1982 Nachbauten (Rekonstruktionen) bekannter Hamburger Bürger- und Kaufmannshäuser in einem Ensemble zusammengefügt, um einen Eindruck vom Bau- und Wohnstil früherer Jahrhunderte entstehen zu lassen. Auch vom „Paradieshof“ am Alten Steinweg, dem letzten großen barocken Mietshaus der Altstadt, steht dort eine Kopie – dabei ist das Original noch vorhanden! Vorschnell wurde an der Kopie eine Bronzetafel angebracht, mit der Inschrift: „Paradieshof - Dieses Haus stand früher am Alten Steinweg...“, durch Bürgerengagement konnte das Original jedoch erhalten werden. An der Kopie kann man deutlich ablesen, dass dieser „denkmalpflegerische“ Ansatz ein unehrlicher ist: Nichts stimmt wirklich mit dem Original überein, nicht einmal die Fassadenproportionen.
Aus dieser Zeit stammt auch die Entstehung der großen Freilichtmuseen (Translozierung). Sehr wertvolle Gebäude wurden vom angestammten Bauplatz entfernt und quasi als Sammlerstücke präsentiert. Druck ging nicht nur von der Konkurrenz unter verschiedenen Museen und ihren Betreibern aus, oft waren die Gebäude wirklich in ihrer Existenz bedroht, da Gemeinden oder Eigentümer eine Vernichtung zulassen wollten. Auch dem Röperhof drohte bekanntlich mehrmals das Schicksal der Vernichtung oder der Translozierung, zum Glück konnte beides abgewendet werden.
Eine extreme Auslegung des Denkmal“schutz“-Gedankens erlebten wir in Amsterdam in den 80er Jahren. Dort wurden die bürgerlichen, bauhistorisch einmalig interessanten Gebäude lediglich aufgemessen und fotografisch dokumentiert. Danach wurden sie abgerissen, ein Erhalt war überhaupt nicht vorgesehen.
Grundsätzlich unterliegt die Pflege eines Denkmals nach Art. 14 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes dem Eigentümer. Da dieses eine erhebliche finanzielle Belastung darstellen kann, ist die Pflicht der Erhaltung von öffentlicher Seite aus nur im Rahmen des Zumutbaren durchsetzbar. Daher werden, auch wenn es der heutigen Auffassung von Denkmalschutz widerspricht, denkmalgeschützte Gebäude immer noch entkernt, ein kompletter Neubau hinter historischer Fassade ist gängige Praxis. Zuschüsse der zuständigen Kulturbehörden, deren finanzielle Ausstattung in aller Regel gering ist, können zumeist nur für den Fassadenschutz gewährt werden.
So bleibt ein kompletter Erhalt historischer Gebäude, wie es dem Geist des Denkmalschutzes eigentlich entsprechen würde, dem persönlichen Engagement Einzelner vorbehalten. Immerhin gibt es für Besitzer denkmalgeschützter Häuser steuerliche Vergünstigungen unter dem § 10f und 10g EStG. Hiermit soll das private Engagement für denkmalgeschützten Besitz gefördert werden.
Am Röperhof waren wir mit der heute vorherrschenden Meinung im Denkmalschutz konfrontiert, die davon ausgeht, dass eine eventuell erforderliche Modernisierung eines Baudenkmals „ehrlich“ erfolgen soll: Veränderungen oder Ergänzungen sollen „modern“ und für jedermann als nachträglich eingefügt ersichtlich werden. So bevorzugte Herr Moreno vom Denkmalschutzamt 2005 für die Fensterlösung am Anbau des Röperhofs eine extreme Lösung: Ein großer Glaskörper, wie ein Schnitt durch das Anbaudach mit zeitgenössischem Material und moderner Formensprache, sollte für die notwendige Belichtung sorgen. Wir sind einen anderen Weg gegangen, weil wir diesen Vorschlag für den Röperhof nicht angemessen fanden. Glücklicherweise konnten wir Herrn Moreno durch eine aufwändig erarbeitete Animation überzeugen. Heraus gekommen ist eine Gaubenlösung, die an Ladeluken erinnert, historische Proportionen und Details aufnimmt, jedoch weitestgehend in den Hintergrund tritt, ohne Eigenständigkeit einzubüßen. Wir glauben, dass die vielen Entwürfe und Überlegungen am Ende zu einem akzeptablen Ergebnis geführt haben. Dagegen ist ein früherer Versuch, moderne Formen und Materialien zu verwenden – beim Treppengeländer am Eingang zum Restaurant – von Mietern und Besuchern des Röperhofs nicht wirklich angenommen worden.
Als es Jahre später um den Entwurf einer Briefkastenanlage am Zaun zum Restaurant-Garten ging, entschieden wir uns für etwas „zum Hof Passendes“. Eine rein historisierende Lösung wollten wir auf keinen Fall, wir entschieden uns für eine Mischung aus historistischen Elementen und modernen Materialien. Das Holzgestell wurde passend zum Röperhof aus Lärchenholz ohne Metallverbindungen hergestellt und im gleichen Farbton gestrichen. Die tragenden Balken wurden durch eine Fase gebrochen, den Deckenbalken in den Gasträumen entsprechend. Die Firmenschilder allerdings sind in Aluminium gefertigt, eloxiert und wirken sehr modern. Der innere Rahmen zum Tragen der Schilder ist ein eigenständiges Element aus Stahl. Diese Mischung aus modernen und historischen Elementen spiegelt sich in unseren Entwürfen und Bauausführungen der letzten 20 Jahre wieder, so zum Beispiel bei dem von der Feuerwehr geforderten Schutz gegen herabrutschendes Reet im Falle eines Brandes vor der Haupt-Eingangstür. Wir glauben, dass mit unserem Herangehen ein guter Kompromiss gefunden wurde, der das Haus respektiert, Mietern wie Besuchern gefällt und letztendlich auch vom Denkmalschutzamt gewürdigt wird.
Unser gesamtes Nutzungskonzept für den Röperhof fußt auf einer vorsichtigen aber möglichst vorausschauenden Auslegung des Denkmalschutzgedankens. Da niemand zukünftige Entwicklungen im Denkmalschutz vorhersagen kann, ist es uns daran gelegen, auch Bereiche zu schützen, die heute noch nicht als besonderer Wert anerkannt sind, die aber eigentlich zum Besonderen des Hauses gehören.Genannt seien hier Farbschichten und Farbqualitäten sowie historische Putze und Putztechniken. So sind auch die alten Tapeten, die im Zwischengeschoß die kleinen Kammern zierten, noch vorhanden, sie wurden lediglich behutsam mit Gipsplatten verkleidet.
Noch bevor 1983 die großen Sanierungen im Röperhof begannen, erkannten wir, dass viele Jahre keine Renovierung stattgefunden hatte und deshalb nie Kunstharzfarben verwendet worden waren. Also haben wir es uns zum Ziel gesetzt, bei allen anstehenden Renovierungsarbeiten ausschließlich Naturharzfarben zu verwenden. Auch die Mietverträge haben wir so gestaltet, dass bei Renovierungen nur die Verwendung dieser natürlichen Farben und Lacke erlaubt ist, auch wenn diese teurer und zum Teil aufwändiger zu verarbeiten sind. Der gesamte Dachbodenausbau forderte uns auf diese Weise heraus und gipfelte in der Entwicklung der angewandten Lehmtechnik für Reetdach und Heizung. Heute können wir mit Recht sagen, dass sich unser Wagnis gelohnt hat.
Wir wissen nicht, aus welcher Perspektive der Geschichte später einmal auf den Röperhof geschaut wird. Der Schutz historischer Bauten stärkt regionale Identitäten, die gerade in der heutigen Zeit immer höher gewichtet werden. Für uns ist damit die Förderung der Nachhaltigkeit logisch verbunden, wir wollen keine Experimente mit neuen chemischen Materialien machen und Umwelt wie Bausubstanz des Röperhofs noch stärker belasten. Deshalb gehört ein Blick auf die Zukunft, eine Bestimmung der Schwerpunkte und ein Offenhalten der Möglichkeiten zu den Grundlagen unserer Aktivitäten. Vielleicht wird der Röperhof eines Tages tatsächlich zum Museum werden. Daher müssen wir uns immer wieder fragen, wie viel Betrieb und öffentliche Nutzung wir jetzt zulassen können, ohne Wirtschaftlichkeit und Substanz zu gefährden und den eigentlichen Schutz des Hauses als oberstes Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
Christoph Mühlhans